Rund eine Stunde nachdem wir ins Bett sind, fing es an ein wenig zu regnen. Ich konzentrierte mich darauf, dass wir morgens mit Sonnenschein und leichten Schleierwolken aufstehen und zusammenpacken würden.
Wie erwartet, kam es auch so. Wir hatten einen sonnigen morgen, an wir alles trocken und gemütlich packen konnten.
Vom Vorabend hatten wir noch etwas Poridge übrig, dass wir kalt als Frühstück zu uns nehmen. Ich muss gestehen, es gibt bessere Frühstücks-Gemschmäcker.
Der Tjäktja-Pass liegt heute vor uns. Rund fünf Kilometer ist er entfernt. Der Weg bleibt weiterhin felsig.
Vorne am Horizont lässt sich die Stelle ausmachen, an der wir die Bergkette wohl überqueren werden.
Kurz vor dem Pass wird die Anzahl der Teilnehmer mehr. Durch die langsamere Fortbewegung an dem steilen Hang, verdichten sich die Abstände zueinander.
Weniger schlimm als erwartet
Trotz der enormen Steigung, lässt sich der Tjäktja-Pass gut überwinden. Lässt man sich ausreichend Zeit, langsam zu gehen, schafft man ihn ohne große Pause.
Mit dem Pass lassen wir nicht nur eine Landschaft hinter uns, sondern auch eine Wetterzone.
Die Wolken verdichten sich zunehmend. Sie schoppen sich regelrecht am Bergkamm zusammen. Schon auf den letzten Aufstiegsmetern fängt es an zu tröpflen. An der Spitze angekommen, geht das Tröpfeln allmählich in echten Regen über.
Durch die gesunkene Motivation scheint der Hochweg durch die felsige Ebene schier unendlich zu sein. An einen ausgetretenen Pfad ist hier nicht zu denken. Wir hangeln uns von Stein zu Stein.
Der nächste Check-Point liegt wieder tiefer, so dass wir nach der Hochebene wieder auf das Fjäll typische, bewachsene Gelände kommen.
Glücklicher Weise lichtet sich die Wolkendecke etwas und macht genau um unseren Weg herum Platz für den einen oder anderen Sonnenstrahl.
Am Check-Point Tjäktja halten wir uns nur kurz auf. Auch wenn und die Zeit nicht drängt, lädt der Platz nicht wirklich zum langen Verweilen ein. Also ist unser nächstes Ziel der Check-Point Alesjaure rund 12,5 km weiter nördlich.
Das Wetter mein es wirklich gut mit uns. Wir bleiben für den Rest der Strecke trocken. Nur vereinzelt nieselt es für wenige Minuten.
Nach gefühlten 10 Kilometern erscheint die Fjällstation am Horizont. Die Motivation steigt schlagartig wieder an.
Doch der Schein trügt. Die Station will einfach nicht näher kommen, so dass wir geschlagene zwei Stunden mit dem erklärten Ziel vor Augen weiter wandern, bevor wir die Fjällstation endlich erreichen.
Umrahmt von Wasser, auf einem kleinen Hügel liegt die Fjällstation Alesjaure. Liebevoll wieder die Begrüßung und das Angebot, es sich in der schon vorgeheizten Sauna gemütlich zu machen.
So verlockend das Angebot auch ist, wir entscheiden uns für die windgeschützte Holzbank und genießen unseren Ovomaltine Sport Riegel.
Unterdessen, ist der Helikopter im Anflug. Schon das zweite Mal holt er eine Gruppe von Trekkern ab, die hier ihre Tour abbrechen. Sei es wegen körperlicher oder auch seelischer Unbehaglichkeiten.
Dabei liegt einer der schönsten Streckenabschnitte ja noch vor uns. Der Strand von Nord Schweden wir er auch bezeichnet. Wenige Meter hinter dem Check-Point beginnt eine 10km lange, wunderschöne Seenlandschaft, mit flachen, feinen Kiesstränden.
Durch die Wolkenlücken werden die gegenüberliegenden Berge mit goldenen Klecksen versehen, so dass sich ein atemberaubendes Panorama vor uns ausbreitet.
Die Entscheidung
In dieser Euphorie der Situation suchen wir einen geeigneten Platz für die Nacht. Aber jedes Mal, wenn wir eine Möglichkeit gefunden haben, haben wir überlegt, noch ein Stückchen weiter zu gehen.
Schließlich geht es unseren Füßen gut, der Weg scheint ab jetzt vielversprechend eben zu bleiben.
Wie wir so im Laufen sind, kam uns jeweils die Frage in den Sinn, ob der anderere wohl mit dem Gedanken spielt, auf Gold zu laufen. Den Classic über 110 km also unter 72 Stunden zu schaffen.
Nach dem Austausch, kamen wir dahinter, dass bislang noch keiner von uns beiden diese Idee verfolgt hat. Aber jetzt wo das Thema auf dem Tisch ist, können wir ja mal überlegen, was für so eine Goldmedaille notwendig wäre.
Mehr und mehr kam in uns Begeisterung hoch. Wir sind bis zu diesem Zeitpunkt rund 75 Kilometer weit gekommen. Alleine heute liegen schon 27 km hinter uns.
Also rechneten wir nach, ob überhaupt noch eine Chance bestünde.
Da wir für Gold das Ziel bis spätestens morgen um 13:00 Uhr erreichen müssten, ist es nur realistisch, wenn wir es heute schaffen, die Reststrecke auf unter 20 km zu verkürzen.
Mit entsprechendem Puffer hätten wir dann am nächsten morgen rund sechs Stunden Zeit.
Unterm Strich heißt das für uns, dass wir Streckenkilometer 90 heute Nacht noch überschreiten müssen. Es bleiben also noch 15 km für heute übrig.
Durch die Euphorie gestärkt gehen wir es an. Die Versuchung Gold in Händen zu halten schüttete Mengen an Hormonen aus, die die Schmerzen verfliegen ließen.
Beide wussten wir, ab jetzt ist Silber keine Option mehr. Die Entscheidung ist gefallen. Es gibt kein Zurück.
Eine Weile kamen wir blendend voran. Immer begleitet von einem breiten Grinsen in unseren Gesichtern.
Die Landschaft war atemberaubend von der untergehenden Sonne beleuchtet.
Auch wenn es jetzt schon 21:00 Uhr ist, sind noch erstaunlich viele Teilnehmer unterwegs. Immer erkennbar an den leuchtenden Farben ihrer Safety-Tags, die die Startgruppen voneinandern unterscheiden.
Der Weg wird wieder steiniger und wir warten ungeduldig auf den Abstieg aus der Hochebene, der im Höhenprofil verzeichnet ist.
Aber er kommt nicht. Statt dessen windet sich der enge Pfad entlang eines nicht enden wollenden Bergs. Vom Gefühl her haben wir ihn fast ganz umrundet, bis wir endlich an Höhenmetern verlieren.
Der Abstieg ist steil. So steil, dass wir ganz kleine Schritte machen müssen, um die Kniee nicht zu sehr zu belasten.
Wir kommen wieder unter die Baumgrenze. Der Pfad ist an manchen Stellen so eng, dass die quergelegte Isomatte an meinem Rucksack ihre liebe Mühe hat, mit durch zu passen.
Von weiter oben, konnte man schon einen See ausmachen in dessen Nähe der Check-Point liegen soll. Wie weit dieser aber vorgelagert ist, wissen wir nicht.
Nils Spruch in solchen Situationen ist immer:
„Laufen müssen wir es sowieso.“
Einige Windungen später; ein kleines Schild vor einer Brücke mit der Aufschrift „Check-Point 400m“. JAAAA, wir haben es tatsächlich geschafft.
Ich habe auf dem endlosen letzten Stück schon fast den Plan verworfen, aber schließlich waren wir da. die Füße brennen, die Schultern spüren wir kaum noch.
Da es inzwischen 23:00 Uhr ist, dürfen wir uns den Stempel selbst in unseren Hiking-Pass eintragen.
Ein Zelt weiter duftete es auf einmal nach Süßem. Und tatsächlich. Unermüdlich und immer mit einem Lächeln auf den Lippen, steht ein junger Bursche vom Team am gasbefeuerten Crepes-Eisen und zaubert leckere Pancakes. Dazu gibt’s Preiselbeeren und Sahne.
Nach diesen Strapazen ein Gedicht ohne Gleichen. Wir haben nicht gezählt, wie viele wir gegessen haben. Fest steht, wir sind satt geworden und können uns heute Abend die Zeit sparen, die wir sonst für Kochen und Abspülen gebraucht hätten. Schließlich ist es schon spät und wir müssen morgen früh raus.
Also noch kurz zurück an den Fluß zum Waschen und Zähneputzen und ab in den warmen Schlafsack. Auf dieser Seite der Bergkette ist es gut 5 – 10 Grad kälter.
Mit dem guten Gefühl, dass es morgen nur noch 17,5 km sind, schlafen wir in sekundenschnelle ein.